Lohnen sich naturfaserverstärkte Kunststoffe?

Nachdem wir im Oktober 2021 den von uns im Auftrag eines privaten Investors entwickelten AquaSpeeder präsentiert hatten, war für uns lange nicht Schluss. Bereits bei Beginn der Entwicklungsphase keimte die Idee, den ohnehin durch seinen elektrischen Propellerantrieb umweltfreundlichen AquaSpeeder noch weiter in dieser Hinsicht zu optimieren.

Der Rumpf des AquaSpeeders ist im Leichtbauverfahren aus Glasfaserverbundwerkstoff gebaut — ein Verfahren, bei dem Glasfasern in einer Matrix aus Epoxidharz eingebettet werden. Sie sorgen dann dafür, dass einwirkende Kräfte gezielt ins Bauteil eingeleitet werden. Das Ergebnis ist ein hochstabiler und dabei leichter Rumpf.

Allerdings haben Glasfasern den Nachteil, dass sie weder nachwachsend noch biologisch abbaubar sind — im Gegensatz zu Naturfasern.

Sind Naturfasern also die Lösung?

Sie sind in jedem Fall eine Alternative, die näher betrachtet werden kann und sollte.
Wie der Name schon sagt sind Naturfasern sowohl tierischen als auch pflanzlichen Ursprungs, wobei im Faserverbund überwiegend pflanzliche Fasern von Pflanzen wie Flachs, Hanf, Jute, Kenaf, Sisal und Abaca Verwendung finden.

Naturfaserverstärkte Kunststoffe, kurz NFK, werden bisher vor allem in der Automobilindustrie verwendet, z.B. zur Innenverkleidung von Türen. Sie weisen hohe Steifigkeiten bei geringer Dichte auf. Kurz: sie sind stark belastbar und gleichzeitig leicht.

Hier ein kleiner Dichte-Vergleich:

Stahl — 7,9 g/ccm
Glasfaser — 2,7 g/ccm
Carbonfaser — 1,8 g/ccm
Flachsfaser — 1,4 g/ccm

Da es sich bei Hanf, Flachs und Co. um nachwachsende Rohstoffe handelt, die — je nach Pflanze — auf fast allen Kontinenten angebaut werden können, kann eine stetige Versorgung garantiert werden. Sie verursachen bei der Produktion weniger CO2 und binden zudem während des Wachstums der Pflanze CO2 aus der Atmosphäre. Naturfaserverstärkte Kunststoffe bieten eine gute Thermo- und Schallisolierung. Im Verarbeitungsprozess anfallende Schnittabfälle können bis zu 100% weiterverwendet werden.

Darüber hinaus sind mittlerweile Harze verfügbar, deren Kohlenstoffanteil zu 50% aus Pflanzen gewonnen wird, wodurch wiederum 50% CO2 gegenüber herkömmlichen Harzen eingespart werden kann.

Selbst wenn man die nach der Produktion noch hinzukommenden Verarbeitungsschritte mit einbezieht, haben Naturfaserverbundwerkstoffe einen um etwa 50% geringeren CO2-Fußabdruck als Glasfaserverbundwerkstoffe.

Wo ist der Haken?

Vereinfach gesagt: da zum Beispiel Flachsfasern nur ein Fünftel der Zugkraft (Kraft, die benötigt wird, um ein Gewicht entgegen der Schwerkraft zu halten) von z.B. Carbonfasern und die halbe Zugraft von Glasfasern haben, müsste ein Bauteil, das Flachsfasern verwendet, ca. das Vierfache des sonst baugleichen Bauteils aus Carbonfasern wiegen, um gleich effektiv zu sein. Ähnlich verhält es sich mit Flachsfasern zu Glasfasern. Da Fasern und Harz im Faserverbund in einem Verhältnis von 50/50 verwendet werden, bedeutet ein Vielfaches von Fasern auch ein Vielfaches an Harz. Das verschlechtert nicht nur die Ökobilanz, sondern kehrt sie ggf. sogar um.

Während die reine Naturfaser auch bei der Entsorgung CO2-neutral bleibt, müssen Bauteile aus Faserverbund unabhängig von der verwendeten Faser bedingt durch ihren Kunststoffanteil grundsätzlich als Sondermüll entsorgt werden. In der Regel geschieht dies thermisch.

Flachsfasern kosten (noch) mehr als das Fünffache von Glasfasern. Ihre Eigenschaften reichen grundsätzlich an die der Glasfasern heran, können diese aber nicht eins zu eins ersetzen. Hinzu kommt, dass es sich um ein standortabhängiges Naturprodukt handelt, das ein besonders gezieltes Qualitätsmanagement erfordert, um witterungsbedingte Schwankungen abzufedern.

Wie bei so vielen Dingen, spielen die Kosten eine Rolle. Das Know-how, das für den Anbau von Hanf, Flachs und Co. benötigt wird, kommt primär in der Textilindustrie zum Einsatz und nur wenige Hersteller produzieren Naturfasern für den Einsatz im Faserverbund. Entsprechend fällt die Preisgestaltung aus.

Ein vorläufiges Fazit

Auf unser Beispiel angewendet bedeuten die zur Zeit gängigen Preise für Carbon-, Glas- und Naturfasern, dass ein sonst baugleiches Bauteil mit Flachsfaser im Vergleich zu Glasfaser sechsmal so viel kosten würde und 20% teurer wäre als Carbonfaser.

Wir alle sind uns bewusst, dass umweltfreundliche Materialien mehr kosten. Als Produktentwickler sehen wir uns aber mit der Frage konfrontiert, ab wann in diesem Fall Naturfasern sich aus ökologischen und ökonomischen Aspekten (schon) lohnen.

Das Gewicht spielt beim Bau von Wasserfahrzeugen eine wichtige Rolle, weshalb der Einsatz von Naturfasern bei strukturell wichtigen Bauteilen aktuell für uns nicht in Frage kommt. Aber: immer mehr Harze mit Bioanteil werden verfügbar. Es ist denkbar, bei strukturell nicht belasteten Bauteilen wie Verkleidung, Oberschale und Deckel Bioharze in Kombination mit Naturfasern zu nutzen.

Wir würden uns über eine Diskussion diesbezüglich freuen. Ebenso über Input bezüglich unserer These, dass unter Berücksichtigung von sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren wie Dichte, Gewicht, Harzanteil und Zugkraft sich der Einsatz von Naturfaserwerkstoffen ökologisch und ökonomisch zum jetzigen Zeitpunkt nicht lohnt. Fallen euch Einsatzmöglichkeiten ein, die wir übersehen haben?